„Die Würde des Menschen ist (un)antastbar“

18. Aug 2024

Zum nunmehr 26. Mal fand in Friedrichsbrunn ein Bonhoeffer-Tag statt – und über 100 Menschen waren der Einladung gefolgt. Im Mittelpunkt stand der vielleicht bekannteste Satz des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist (un)antastbar“, wobei die Initiator*innen bewusst die Klammern setzten. Denn zur Erfahrung gehört allgemeinhin, dass die Würde von Menschen tagtäglich verletzt wird. Rassismus, die Folgen von Armut, Diskriminierung aufgrund geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung oder moderne Sklaverei sind nur einige solcher Verletzungen.

In der vollbesetzten Bonhoefferkirche begann der Tag zunächst mit einem Gottesdienst. Dieser wurde musikalisch vom Posaunenchor Thale unter der Leitung von KMD Christine Bick gestaltet. Im Zentrum des Gottesdienstes stand Hagars Geschichte, die einigen durch die Jahreslosung 2023 vertraut ist, wo es heißt: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16,13). Gabriele Zander, Pfarrerin der Franckeschen Stiftungen in Halle, hob in ihrer Predigt hervor, wie die ägyptische Sklavin Hagar eine Identifikationsfigur für schwarze Frauen war und ist, zu deren Familiengeschichten oftmals ebenso wie bei Hagar Sklaverei und sexuelle Ausbeutung gehören. Gleichzeitig ist die Hagar-Erzählung auch als eine Erzählung von Empowerment zu lesen, denn Hagar wird von Gott in ihrem Elend gesehen, ihr werden Nachkommen versprochen und sie traut sich, Gott einen Namen zu geben.

Die Mittagspause bot sodann im Café Bonhoeffer die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, die Anregungen aus dem Gottesdienst wirken zu lassen und sich für den Nachmittag zu stärken.

Am Nachmittag wurde zunächst ein Film des Regisseurs Hellmut Schlingensiepen vorab aufgeführt. Unter dem Titel „Die Wolke der Zeugen. Dietrich Bonhoeffer in Harlem 1930/31“ berichtete der Film von Dietrich Bonhoeffers Zeit am New Yorker Union Theological Seminary, wo er mithilfe von Stipendien eine Zeit lang studieren konnte. Dabei lernte er durch persönliche Kontakte die Gemeinde der Abyssinian Baptist Church in Harlem kennen. Ursprünglich als Viertel für weiße Immigrant*innen gebaut, entwickelte es sich schnell zu einem Schwarzen Viertel in New York. Dietrich Bonhoeffer entdeckte dort die Schwarze Kultur und brachte zahlreiche Schallplatten mit Gospels und Spirituals nach Deutschland, er engagierte sich in der Sozialarbeit der Gemeinde und wurde Zeuge des Rassismus, dem seine Freund*innen ausgesetzt waren. Die vielen Stimmen von Schwarzen, die im Film zu Wort kommen, geben einen Einblick in die Schwarze Kultur und deren Ausstrahlung in der Harlem-Renaissance.

Maximilian Zehnpfund vertiefte in seinem Vortrag „Bonhoeffer in Harlem“ einige Aussagen des Films. Dabei hob er die Erkenntnis Dietrich Bonhoeffers hervor, welche tödlichen Konsequenzen die Verbindung von Rassismus und Nationalismus haben. Umso wichtiger war es ihm deshalb angesichts der Entwicklungen in Deutschland, dass die Kirche dagegen Stellung beziehen müsse – insbesondere auch, weil im Bekenntnis auf Christus Nationen keine Rolle mehr spielen. Maximilian Zehnpfund verwies außerdem darauf, dass das Miterleben von Rassismus Dietrich Bonhoeffer in seinen Warnungen vor dem rasant wachsenden Antisemitismus bestärkte.

Abgeschlossen wurde der Bonhoeffer-Tag von einer Diskussionsrunde unter der Leitung von Dominic Borchert. Hier wurde nochmals der Bogen zum Thema des Tages geschlagen und zahlreiche Beispiele genannt, wo die Würde des Menschen derzeit angetastet wird. Umso wichtiger war es den Diskutierenden, dass auch in Zukunft Begegnungen ermöglicht werden, insbesondere im Jugendalter. Denn dadurch könne gelernt werden, sich auf andere einzulassen, die eigenen Perspektiven zu hinterfragen und neue, fremde Sichtweisen einzunehmen.

So endete ein anregender und inhaltlich reich gefüllter, der 26. Bonhoeffer-Tag. Der Termin für das kommende Jahr steht bereits fest: Dann sind alle am Sonntag, 17. August 2025, nach Friedrichsbrunn eingeladen.

Text: Saskia Lieske
Fotos: Christine Bick, Beate Fiedler (2)