Ohne Risiken und Nebenwirkungen

10. Jul 2016

Eine Predigt zur Kirche

Selten fand eine Predigt mit den gekonnten musikalischen Kommentaren von Domkantor Claus-Erhard Heinrich ein ähnlich großes Echo. Vielleicht deshalb, weil sie ein Thema berührt, was seit Generationen viele Gemeindeglieder bewegt.

Eine interessante Grundlage, um der so viel diskutierten Gestalt der "Kirche der Zukunft" gelassen und heiter entgegen zu sehen (s.u.)


Predigt zu Apostelgeschichte 2,41ff von Superintendentin Angelika Zädow - es gilt das gesprochene Wort -

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, der uns in die Gemeinschaft seiner Kirche ruft. Amen.

Liebe Gemeinde,

hätte man mir vor Beginn meines Pfarrdienstes Anfang der 1990er Jahre gesagt, dass mit Risiken und Nebenwirkungen nicht unerheblichen Ausmaßes zu rechnen sei für das Leben der Gemeinden und unserer Kirche überhaupt – vermutlich hätte ich nur verständnislos den Kopf geschüttelt. Hatte ich doch weder in meiner Heimatgemeinde noch im Studium gravierende Nöte der Kirche erlebt oder von ihnen gehört.

Doch kaum ein paar Wochen im Dienst, wurde ich von der Woge der Mahnungen ergriffen und in einem Diskussionsstrudel über die „Kirche der Zukunft“ mit gerissen.

„Wie werden kleiner“

„Steigende Kirchenaustrittszahlen“

„Weniger Taufen“

„Mehr Beerdigungen“

„Wir versinken in der Bedeutungslosigkeit“

„Kann sich Kirche die Hauptamtlichkeit überhaupt noch leisten?“

Ach, und erst die Finanzen – ganz furchtbar -  schon im kommenden Jahr müssen erhebliche Sparmaßnahmen ergriffen werden. Nur: wen soll und wird es treffen? Jedenfalls: So kann es nicht bleiben.

So wurde und wird seit 25 Jahren geredet und diskutiert: in Gemeinden, bei Konventen und auf Hohen Synoden. Sehr unterschiedliche Meinungen werden vertreten. Die einen beklagen, die Kirche lege Menschen mit ihren verstaubten Glaubens- und Lebenssvorstellungen zu sehr fest. Und der Heilige Geist hätte bei so viel Kleingeisterei ohnehin längst die Flucht ergriffen.

Andere stöhnen über zu viel Beliebigkeit und fürchten, die Wahrheit des Evangeliums gehe bei so viel Differenzierungen verloren.

Je nach Standpunkt werden unterschiedlich Modelle einer „Kirche der Zukunft“ in die Diskussion geworfen. Das eine nenne ich  „Krakenmodell“ -  eine Kirche mit Hunderten von Armen, die überall ein Wort mitredet: in der Politik, in den Vereinen, in der Wirtschaft, in den sozialen Netzwerken, kurz: sie funkt auf allen Kanälen. Vorteil: Kirche ist präsent. Nachteil: irgendwann werden es zu viele Arme, die an der Kirche zerren und immer mehr und immer Neues wollen. Die Mitte zerreißt. Zu wenige sollen alles machen. Die Kirche zerfällt und ihre Einzelteile gehen eigene Wege.

Das zweite Modell ist das des „Kirchleins“ -  eine Minikirche sozusagen -  der wirklich engagierten und um das Evangelium bemühten Gläubigen. Sie setzen sich ganz bewusst von der Welt ab und pflegen eine abgeschiedene Gemeinschaft. Vorteil: Die Kirche ist sich ihrer Mitte bewusst und lebt aus ihr heraus. Nachteil: Sie gerät mehr und mehr ins Abseits, isoliert sich selbst und wird auf Dauer bedeutungslos.

Das dritte Modell wird in diesem Jahr 10 Jahre alt - die sogenannte „Kirche der Freiheit“. Sie besteht aus „Leuchttürmen“, die den Weg zeigen. D.h.: Kirche zieht unterschiedlichste Menschen durch bestimmte Schwerpunkte an: Kirchenmusik z.B. Vorteil: Kirche wird wahr genommen, Menschen können ihren Interessen und Neigungen im Glauben nachgehen. Nicht alle müssen alles machen. Nachteil: Wo kein Leuchtturm ist, keine Gemeinschaft mehr. Und Kirche wird zu einem Club der Gleichgesinnten.

Was ist nun richtig? Was sollen wir tun? Mehr als Ratlosigkeit war und ist für mich nicht zu spüren in all den Konzepten.

Dennoch kann ich nach 25 Jahren Dienst sagen: Hurra, die Kirche lebt immer noch - trotz aller Risiken und Nebenwirkungen durch Konzepte, durch Mahner, Bedenkenträger, Schönredner, Besserwisser, Modellverliebten, trotz aller erhobenen Zeigefinger, Sparfüchse, Geldvernichtungsevaluierungen und Zeit raubender Modelldiskussionen.

Kirche lebt – und sie lebt in aller Ungleichzeitigkeit von Entwicklung. Da gibt es die kleinen – mehr oder minder abgeschlossenen -  Gemeinschaften, da gibt es die einflussreiche Kirche, die zu den brennenden Fragen der Zeit gefragt ist, da gibt es die volkskirchlichen Strukturen, in denen sich Kirche viel an Aktivitäten leisten kann, da gibt es die in die Umgebungen ausstrahlenden Gemeinden, die Menschen anziehen.

Kirche lebt – und es muss eine besondere Kraft sein, die sie treibt. Denn jede Firma, jeder Betrieb -  jede andere Institution hätte längst an Kraft und Mut verloren, wenn man ihren Mitarbeitenden und Mitgliedern 25 Jahre und länger gesagt hätte: „Stell dich auf weniger ein. Wir werden uns nicht mehr alles leisten können. Arbeitsbereiche werden vielleicht verschwinden. Das Geld reicht hinten und vorne nicht.“

Wir sollten alle endlich aufhören, dunkle Wolken an den Horizont der Zukunft zu malen.

Ja, wir werden kleiner -  aber den Neuigkeitswert dieser Meldung kann ich nach 25 Jahren nicht erkennen.

Ja, wir haben weniger Geld – durch die Jahrhunderte hindurch ist Kirche daran allerdings nie gescheitert.

Ja, Kirche wird sich verändern -  Gott sei Dank -  ich bin dankbar, dass ich Pfarrerin sein darf -  als ich geboren wurde, war das längst nicht selbstverständlich -  und unsere Kinder und Enkel werden in 50 Jahren vermutlich auch sagen: „Gut, dass Kirche sich verändert hat“.

Kirche verändert sich, weil sie lebt. Und nicht still steht. Sie hat den Mut zur Erneuerung, zur Umformung, zum Anders-Werden.

Weil ihre Mitte konstant und stabil bleibt. Wie der zusammenfassende Text aus dem 2. Kapitel der Apostelgeschichte sagt:

„Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.

Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam.

Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.

Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.“

Wie wohl tuend klingt das in meinen Ohren gegenüber den vielen Debatten über Kirchenmodelle und -entwicklungen.

„Sie blieben beständig“ -  das ist unsere Aufgabe. Beständig bleiben: Brot brechen, gemeinsam beten und feiern, das Nötige für andere tun und das mit Freude und offenem Herzen.

„Brot brechen“. Brot: Nicht nur als Nahrungsmittel zum satt werden -  das auch, und das zuerst.

Und dann das Brot reihum in den Häusern brechen -  Christus miteinander zu teilen. Ihn „zu essen“, zu kauen, zu schmecken, ihn in uns aufnehmen:

In unser Denken und Handeln. Seine Güte soll sich in unserem Leben zeigen. Seine Barmherzigkeit soll durch unsere Worte sprechen. Seine Zuwendung soll durch unser Tun sichtbar werden.

Das ist die Mitte und zugleich die Aufgabe von Kirche. Mehr nicht.

So einfach kann es sein -  das Nötige regeln und dann mit Freude den Glauben leben. Mit offenem, leichtem Herzen.

Weil nichts zu schwierig, nichts zu kompliziert ist, um mit dem Beispiel Jesu eine gute Lösung zu finden. Mit Seinem Wort, das Kraft gibt und Trost und Mut. Das glaubwürdig ist und richtungsweisend.

Es ist, als schlägt sein befreiendes Wort eine Schneise in das Dickicht der unterschiedlichen Konzeptionen und Modelle.

Es ist, als schaffe Sein Wort Ruhe in allen aufgeregten und hitzigen Debatten.

Es ist, als wandle Sein Wort den bitteren Ernst in heitere Zuversicht.

Es ist, als lache Sein Wort alle verbissenen Anstrengungen ins Leichte hinweg.

Denn wer anders als Er selbst ruft zum Glauben. Nicht die Kirche, nicht wir, nicht ich.

Christus schenkt sich den Menschen. Er gibt sich hin, sich selbst mit Seinem Wort der Versöhnung und des Friedens.

Mit Seinem „Fürchte dich nicht“ müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. So dürfen wir Ihm getrost die Verantwortung für seine Völkerfamilie überlassen.

Unsere Verantwortung ist eine andere -  vielleicht so wie Rainer Maria Rilke es ausdrückt: „Das Hiesige in die Hand nehmen – herzlich, liebevoll, erstaunend -  als unser vorläufig Einzigstes. Das ist – um es gewöhnlich zu sagen -  die große Gebrauchsanweisung Gottes.“

Ach wie frei fühlt sich das an. Und ganz ohne Risiken und Nebenwirkungen. Amen.

Gott aber gebe euch seinen Geist der Heiterkeit und des Lachens. Amen.

Konzept
Konzept

Kontakt

Evangelischer Kirchenkreis Halberstadt

+49 (3941) 57 17 38

suptur@kirchenkreis-halberstadt.de