Weiße Tauben als Hoffnungszeichen

31. Aug 2015

Bonhoeffertag in Friedrichsbrunn

Der 18. Bonhoeffertag am 30. August 2015 in Friedrichsbrunn wurde eröffnet mit einem Gottesdienst unter der Leitung von Pastorin Franziska Kaus. Gut 100 Besucher freuten sich, dass dieser Gottesdienst bei strahlendem Sonnenschein im Garten des Café Bonhoffer stattfinden konnte. Sie kamen aus dem ganzen Pfarrsprengel, der Region und weit darüber hinaus. Der Posaunenchor Thale unter Leitung von Christine Bick begleitete den Gesang der Festgemeinde. 

Superintendentin Angelika Zädow predigte über das Gleichnis vom barmherzigen Samariter: Anderen Menschen ein Nächster zu werden und Barmherzigkeit zu üben gelte in diesen Tagen natürlich auch und ganz besonders im Blick auf die Menschen, die vor Krieg und Terror in ihrer Heimat auch nach Deutschland fliehen. In diesem Zusammenhang stelle sich die alte Frage Dietrich Bonhoeffers "Sind wir noch brauchbar?" (Ausführliche Predigt siehe unten) Am Nachmittag referierte Dr. 

Ernst-Albert Scharffenorth aus Heidelberg vor einem großen Kreis Interessierter über „Die Familie Bonhoeffer im Nationalsozialismus. 

1933 – Beginn der Entscheidungen“. Er legte dar, dass sowohl der Vater Karl als auch der Sohn Dietrich bereits 1933 um die Gefahren wussten, die von Hitlers Machtübernahme ausgingen. Sie hatten Hitlers Verhalten in den letzten Jahren der Weimarer Republik richtig gedeutet. Die Gespräche während der Pausen begleitete ein Musiker mit Improvisationen auf seinen Gitarren. Mit dem Reisesegen entließ Pfarrerin Kaus die Besucher des Bonhoeffertages, dabei ließ sie weiße Tauben fliegen, als Zeichen unserer Hoffnung auf Frieden. Der Träger- und Förderverein „Bonhoeffer-Haus Friedrichsbrunn“ freut sich über ein neues Mitglied.

Hartmut Bick

Predigt über Lukas 10,31f, Friedrichsbrunn 2015 von Superintendentin Angelika Zädow -  es gilt das gesprochene Wort -

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, der uns durch Christus den Blick der Güte auf unsere Mitmenschen lehrte. Amen.

Liebe Gemeinde,

Grundlage der heutigen Predigt ist die wohl fast allen bekannte Erzählung vom barmherzigen Samariter. Ich fasse sie zusammen. Ausgangspunkt ist das Gebot der Nächstenliebe -  „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Ein Schriftgelehrter will das besser verstehen und fragt: „Aber wer ist eigentlich mein Nächster?“

Statt Definition oder Vortrag darüber nun diese Geschichte:

Ein Mensch ist auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho. 27 km sind das und zudem eine Strecke, die lange für Raubüberfälle berüchtigt war. Und es geschieht diesem Menschen das, wovon jeder hofft, dass es nicht ausgerechnet ihm widerfährt. Ein brutaler Überfall: es hagelt Schläge und Fußtritte so lange, bis dieser Mensch mit schweren Verletzungen – halbtot heißt es im Text - liegen bleibt, unfähig, sich selbst zu helfen oder selbst Hilfe zu holen.

Ein Priester und ein Tempeldiener kommen des Wegs, sehen den Schwerverletzten liegen und gehen vorüber, in der wörtlichen Übersetzung heißt es: sie weichen aus, wechseln die Straßenseite sozusagen.

Einen Samaritaner überkommt Mitleid beim Anblick dieses Menschen, er versorgt die blutenden Wunden, verbindet sie, hebt den Verletzten auf sein Reittier, bringt ihn in ein Gasthaus, gibt dem Wirt Geld für die Pflege und die Versorgung.

Nach der Geschichte wieder eine Frage, dieses Mal von Jesus gestellt: "Wer von diesen dreien meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?"

Haben Sie den Unterschied in der Fragestellung gemerkt? Der Schriftgelehrte: „Wer ist mein Nächster?“

Jesus: „Wer ist der Nächste für den Verletzten gewesen?“

Jesus verändert den Blickwinkel. In der ersten Frage liegt der Schwerpunkt auf dem Fragenden: „mein Nächster“; in der zweiten Frage liegt der Schwerpunkt auf dem Verletzten.

Jesus stellt die Frage aus der Perspektive des in Not geratenen Menschen. Im Unterschied zu der Frage des Schriftgelehrten bei dem das eigene Ich im Vordergrund steht.

Damit wird die Grundlage der Frage nach dem Umgang mit denen, die wir „unsere Nächsten“ nennen, geändert. Nicht: „Wer ist das überhaupt – aus meiner Sicht?“ Sondern: wo werde ich zum Nächsten.

Nicht: ich überlege und bestimme, lege Kriterien dafür fest, um wen ich mich kümmere und um wen nicht, sondern die zufällige Begegnung oder die einfach auf mich zukommende Situation bestimmt, wem ich denn zum Nächsten wurde.

Beide Sichtweisen kommen vor: Priester und Tempeldiener legen den Schwerpunkt auf sich selbst und kamen zu dem Ergebnis: dieser da ist nicht mein Nächster. Und das vermutlich mit nur zu verständlichen Gründen. Es war ein gefährlicher Weg, die Räuber konnten jederzeit wiederkommen. Wenn ich zu lange an diesem Ort bleibe, dann bringe ich mich womöglich selbst in Gefahr.

Der Samaritaner versetzt sich in die Lage des  Verletzten, hatte Mitleid, d.h. er litt mit, stellte sich vor, welche Schmerzen er haben musste, wie lange er dort einsam und voll Angst lag und kommt zu dem Ergebnis: dieser ist jetzt mein Nächster.

Das Gebot der Nächstenliebe ist keine Forderung, der man mal eben so nachkommt, weil man gelernt hat, dass „man“ das eben so tut -  so wie man das Grüßen lernt, wenn man sich begegnet. Nächstenliebe gehört nicht zu den Benimmregeln.

Die Nächstenliebe ist auch kein theoretisches Wissen, das je nach Situation mehr oder weniger angewandt wird.

Die Nächstenliebe ist auch keine Begabung, die der eine hat und der andere nicht.

Das alles ist sie nicht.

Weil sie selbst eine Quelle hat - eine Herkunft. Die Nächstenliebe speist sich aus der „misericordia“, der Barmherzigkeit, dem sich erbarmenden Herzen. Barmherzigkeit ist eine menschliche Eigenschaft. Jeder besitzt sie. Weil der Mensch niemals alleine für sich bleiben kann. Unser Herz will nie verschlossen sein. Es strebt danach, sich zu öffnen. Deshalb sind wir in der Lage, Beziehungen einzugehen. Unser Herz öffnet sich anderen Menschen. Es sucht die Begegnung mit dem anderen, mit dem fremden. Wir suchen Nähe: Freundschaft, Partnerschaft, Nachbarschaft …

Das Herz dem anderen gegenüber zu öffnen, ist ein Wesensmerkmal des Menschen. Wir können gar nicht anders, als Beziehungen einzugehen.

An kleinen Kindern sehen wir das. Sie gehen ohne Scheu auf alles und jeden zu. Im Laufe des Heranwachsens lernen sie wie wir es lernten, mit diesem natürlichen Bedürfnis umzugehen. Wir lernen, abzuwägen. Wir lernen, Gefahren einzuschätzen. Das ist gut.

Nicht gut aber ist, wenn wir unser natürliches Herzensbedürfnis einer „Kosten-Nutzenrechnung“ unterziehen oder gar die Zuständigkeitsfrage stellen.

Doch leider darin sind wir leider ziemlich gut geworden.

So mancher Bericht entlarvt Erschreckendes: wie Menschen in der U-Bahn einer Großstadt weg sehen, wenn einer belästigt wird. Wenn jemand dafür angepöbelt wird, dass er anders aussieht. „Blick nach unten“, Straßenseite wechseln und schnell weiter gehen.

Die Erzählung vom barmherzigen Samariter ist eine Gegengeschichte gegen das Wegsehen, denn hier sieht einer nicht weg. Einer ist da, der macht es anders, der hilft, der schleicht sich nicht klammheimlich davon, wenn er gebraucht wird, der erklärt sich nicht für unzuständig.

Da öffnet einer sein Herz, sieht den Schmerz und das was nötig ist, versetzt sich in die Lage des anderen, schaltet die Vernunft ein – und es entsteht das, was mit diesem Wort „Nächstenliebe“ gemeint ist: tatkräftige und hier auch lebensentscheidende Hilfe.

Und das ohne Ansehen der Person.

Mit dieser Erzählung richtet Jesus den Blick und alle Aufmerksamkeit auf den Mitmenschen. Diese Aufmerksamkeit ist grenzenlos und ohne Bedingung. Jesus weist damit zugleich jeden Versuch ab, die Zuwendung zu einem Menschen, der Hilfe braucht, einzuschränken.

Unser Platz als Christinnen und Christen – als Frauen und Männer, die dem Beispiel Jesu nachfolgen -  kann deshalb nur an der Seite derer sein, die uns zu Nächsten werden.

In dieser Zeit fliehen immer mehr Menschen vor Not und Elend. Sie nehmen einen unendlich langen Weg in Kauf. So wie Mahmut und Malik aus Syrien: sie sind über Libyen, die Türkei, Italien, Griechenland und mehrere Balkanländer wochenlang unterwegs gewesen. Der eine ist Bauingenieur, der andere arbeitete mit autistisch behinderten Menschen. Sie fliehen vor Terror und Gewalt in ihrem Land. Und kommen zu uns. Als Menschen. Als Menschen, die wie wir von der gleichen Sehnsucht nach Freiheit, Liebe und Glück erfüllt sind. Als Menschen, denen Gott den gleichen Lebensraum gab wie uns. Wo immer wir geboren wurden auf dieser Welt -  welche Sprache auch immer wir sprechen - wir sind und bleiben Kinder der Völkerfamilie Gottes.

Durch Menschen wie Mahmut und Malik werden wir zu Nächsten. Als Person, als Gemeinde, als Kirche und als Land.

Vor dem Hintergrund brennender Unterkünfte für Menschen auf der Flucht, im Angesicht der Tausenden im Meer Ertrunkenen, in der Wüste Gestorbenen und in Lastwagen Erstickten und zugleich im Wissen darum, dass wir heute in einem freien und vergleichsweise reichen Land leben, finde ich es beschämend, dass sich brennender denn je die Frage Dietrich Bonhoeffers stellt: „Sind wir noch brauchbar?“ -  Als Menschen, als Christen, als Kirche. Ich zitiere aus Widerstand und Ergebung: „Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig
bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder
vielleicht sogar zynisch geworden – sind wir noch brauchbar?“

Im Beispiel vom barmherzigen Samariter beantwortet Jesus diese Frage mit einem eindeutigen „Ja“. Es ist möglich, dass das Notwendige erkannt und getan wird. "Gehe hin und tue desgleichen" - dieser Satz ist Forderung und Ermutigung zugleich. Ja, Du kannst es. Du kannst hinschauen. Du kannst den Mund aufmachen, wenn Menschen beschimpft werden. Du kannst die Ängstlichen ermutigen. Du bist fähig zu Barmherzigkeit und zu praktischem Tun.

Du kannst Deinen Nächsten erkennen wie Gott Dich erkannt hat. Amen.

Und die Barmherzigkeit unseres Gottes entzünde in uns das Feuer der Liebe für unsere ganze Welt. Amen.


BT
BT

Fotos: Hartmut Bick

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