Unterm Kreuz

15. Apr 2022

Weil wir keine Aufgegebenen sind, geben wir nicht auf.

Kürzlich stand ich unter dem Kreuz. In der Kapelle der Konradsburg bei Ermsleben sah ich auf den geschundenen Jesus. Das hat mich tief berührt, hat mich ins Nachdenken gebracht: So vieles ist kaputt, beschädigt, gestorben. So vieles wartet auf eine Wiederbelebung.
Ganz in der Nähe beobachte ich es: Wenn ich durch meinen Harzwald gehe und all das Sterben sehe, wird mir so weh ums Herz. Und mir fehlt das morgendliche Frühlingskonzert all der Vögel vor unserem Schlafzimmerfenster. Jetzt wird da eher solo gesungen. Gut für meinen Schlaf, aber doch eher ein Albtraum.
Und: Wie müde sind die Menschen vom Virus und der Angst und dem Streit. Viele Gewissheiten sind uns verloren gegangen. Wir spüren: Neues Zutrauen braucht das Land. Stattdessen raubt uns der furchtbare Angriffskrieg gegen die Ukraine den Schlaf. Von einer Zeitenwende ist die Rede, obgleich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Krieg geführt wurde: auch in Europa. Aber das Ausmaß ist neu, die Ideologie, mit der der Krieg begründet wird. Und vielleicht am schlimmsten: das Irrationale, das sich mit der Macht verbrüdert hat und Argumenten nicht mehr zugänglich ist.
Es wiegt tonnenschwer in diesen Tagen: So viel Tod, so viel Zerstörung, so viel Abschied von Normalität, so viel Dunkles.

Karfreitag. Jesus stirbt am Kreuz, der schlimmste Foltertod der Antike. Die Mächtigen setzen sich durch, die Populisten drehen die Stimmung, der Gutmensch muss sterben. Mit ihm stirbt die Hoffnung auf eine bessere Welt mit mehr Gerechtigkeit und Frieden und einem liebevollen Umgang mit Gottes Schöpfung. Bald aber schon heben sich die hängenden Schultern der Frauen und Männer, die ihm folgen, wieder nach oben. Aufrecht stehen sie im Wind des Lebens, weil sie davon überzeugt sind, dass Jesus wieder lebendig ist. Was sie mit ihm erleben, lässt sie wissen, dass es lohnt zu hoffen für diese Welt.

Dass es lohnt, die Hände nicht in den Schoß zu legen, sondern sie zu nutzen, etwas Gutes zu tun. Dass es richtig ist, die Augen nicht vor den dunklen Seiten unserer Welt zu verschließen, aber trotzdem hoffnungsvoll zu sein und tatkräftig. Bäume zu pflanzen und Wildbienenwiesen anzulegen. Energie zu sparen, weniger Sprit zu verbrauchen. Geflüchteten eine Heimat zu geben. Das Gespräch zu suchen mit jenen, die ganz anders denken.

Seit dem Ostersonntag dort in der Nähe von Jerusalem wissen wir: Gott hat Jesus nicht aufgegeben, Gott hat uns nicht aufgegeben. Er will uns stärken gegen all das Dunkel - auch in diesen Tagen. Weil wir keine Aufgegebenen sind, geben wir nicht auf.

Matthias Zentner