Nun krieg dich mal wieder ein!

09. Jul 2023

Ich gehe zu mir selbst. Ich nehme nichts von dem mit, was mir im Alltag den Rahmen vorgibt. Ich weiß nicht einmal, wonach ich in der Stille suche. Ich lasse mich finden und berühren …

Von Jesus wird in der christlichen Bibel erzählt, er habe durch Wort und Tat einen schier unglaublichen Eindruck auf seine Zeitgenossen gehabt – so etwas hatte man noch nicht erlebt. Erzählt wird das immer aus der Perspektive der christlichen Gemeinden, die gerade im Entstehen waren.

Es sind also keine neutralen Berichte, sondern engagierte Parteinahmen für diesen ansonsten ganz unbekannten Jesus aus Nazareth. Aber dennoch: Was da erzählt wird, zeigt allerhöchsten Respekt gegenüber einem Mann, der Menschen selbst dort aufsuchte, wo sie völlig am Ende und abgeschrieben waren.

Bevor es losging, und dann immer wieder nach großen, bewegenden Tagen, zog sich dieser bewunderte Jesus von den Leuten zurück. Ging in die Wüste, verbarg sich in der Abgeschiedenheit, gestaltete Tage oder Wochen nur für sich allein. Auch das wurde weiter erzählt und hat später Schule gemacht, als gläubige Männer und Frauen in unruhigen Zeiten sich aus dem Alltag zurückgezogen haben, oft für das ganze Leben.

Allein-Sein als Lebenshilfe und Kraftquelle. Vielleicht haben Sie das auch schon mal ausprobiert: Eine Wanderung allein durch die Berge, eine Woche in einem Kloster, ein Tag ohne Verabredungen und Verpflichtungen.

Als ich vor ein paar Tagen meinem jüngsten Enkelkind mit seinen drei Lebensmonaten gegenübersaß, wirkte das kleine Mädchen mit seinem Gesichtsausdruck sehr konzentriert und sehr ernst. Gelacht und gelächelt wird erst später im Leben, ich weiß. Meine Frau sagte: „Sie ist ganz bei sich selbst.“

Und wir Erwachsenen? Müssen wir uns erst wieder einkriegen, um bei uns selbst anzukommen und ein gutes Gefühl dafür zu haben, wer wir sind, was wir können und was unsere Lebensmitte ist? Eindeutig ja.

Wir müssen es nicht so kraftvoll ausdrücken, aber etwas Übung darin tut gut: Ich gehe zu mir selbst. Ich nehme nichts von dem mit, was mir im Alltag den Rahmen vorgibt. Ich weiß nicht einmal, wonach ich in der Stille suche. Ich lasse mich finden und berühren – oder überlasse mich einfach dem ruhigen Lauf der Zeit. Das ist eine Empfehlung auch für Leute, die nichts so sehr meiden wie Tatenlosigkeit.

Wie es geht? Jesus hat manchmal Leute einfach weggeschickt. Und er kannte die Übung des Gebets. Und hatte bestimmt eine gute Weise gefunden, „ich“ zu sagen ohne künstlichen Stolz und Egoismus. Man kann das in seinen Worten noch wiederfinden.

Für Leute wie uns ist es wie ein Beispiel: Das Leben hat auch seine Seiten, an denen nichts geschehen muss. Und dann ist dort alles voller Energie und Freude.

Christoph Carstens