Verwundbar und solidarisch

22. Okt 2022

Es gibt drei Solidaritätsräuber, schreibt der Sozialethiker Clemens Sedmak: Angst, Gier und die Illusion von Unabhängigkeit.

Sind die Räuber erfolgreich, geht die Solidarität verloren. Wenn wir Solidarität mit den Idealen der Nächstenliebe definieren und so leben, dann wären wir weniger verwundbar. Ließen wir uns spalten, würden wir verwundbar. Der Angst mit Hoffnung begegnen. Der Gier die Bescheidenheit und die Demut entgegensetzen. Der Unabhängigkeit mit Kooperationsangeboten antworten. Das wären auf den ersten Blick die Antworten. Sedmak aber schreibt, …Geschwindigkeitswahn, Leistungsdruck, Effizienzvergleiche, Perfektionismus, unübersichtliche Komplexität, Anspruchsdenken, Autonomie und Protektionismus sind die Auslöser der Solidaritätsräuber. Das macht Menschen krank. Das macht Gesellschaften krank. Das was krank macht, gehört heute zu den gesellschaftlich anerkannten Tugenden. Wir führen sie ständig im Munde, ohne auf ihre sozialen Wirkungen zu achten.
Offensichtlich müssten wir von einem sehr hohen Ross herunter, um den Räubern den Nährboden zu entziehen.

Schauen Sie bitte mal in Ihr Leben und deklinieren Sie einmal anhand Sedmak`s These ihre Lebensbereiche „Gesundheitsvorsorge“, „Freizeitgestaltung“, „Ehe-/Partnerschaft“, „Wohnen und Arbeiten“.
Wie hoch ist das Ross, auf dem Sie sitzen?

Ich frage mich das auf mich selbst bezogen. Lass ich mich der Solidarität mit meinen nächsten Menschen in der Nähe und Ferne berauben? Halte ich stand der Angst, der Gier und der Illusion von Unabhängigkeit? Bin ich heil mit mir, meinen Mitmenschen und mit Gott? Oder ist alles um mich herum heillos zerstritten und kaputt? Wie verwundbar bin ich? Wie verwundbar ist mein Umfeld?
Kostenexplosion, Energiekrise, Krieg und Flucht, Naturkatastrophen, Klimakrise machen uns das Heillose deutlich. Der Räuber ist unterwegs und findet leichte Beute.

Der Wochenspruch aus dem Buch Jeremia des Alten Testaments „Heile, du mich, Herr, so werde ich heil. Hilf, du mir, so ist mir geholfen“ zeigt eine Perspektive. Ich glaube, dass wir dem Räuber am besten wiederstehen, wenn wir wie Jeremia das Heile Sein mit Gott verbinden. Du Gott machst Heil. Dann wird der Glaube zu menschlicher Haltung: …eine hoffnungsvolle Ausstrahlung…in Bescheidenheit und Demut auftreten…Kooperationsmöglichkeiten ausschöpfen. Heil Sein macht sich daran fest, welche heilsame Wirkung wir entfalten können. Im Kleinen der Familie oder am Arbeitsplatz und im Großen der gesellschaftlichen Fragen.

In einem solchen solidarischen Gefüge sind wir weniger verwundbar. Wir sind immer verwundbar. Die Frage ist: Bleiben wir heilbar? Bleiben Wunden zwischen uns Menschen heilbar? In allem Durcheinander unserer Zeit, wünsche ich Ihnen eine menschenfreundliche Haltung, angstfrei, bescheiden und mit vielen Menschen gemeinsam.

Diakon Hans Jaekel
Vorstand Evangelische Stiftung Neinstedt



Hans-Christoph Jaekel, Pädagogisch-diakonischer Vorstand der Evangelischen Stiftung Neinstedt

Kontakt

Hans-Christoph Jaekel
Lindenstraße 2
06502 Thale Neinstedt