Besonders musikalisch

01. Jul 2023

… vom Talent zum Hoffen und von der Übung, die es dennoch braucht.

Das Wort musikalisch verwenden wir gern im Zusammenhang mit einem Instrument, einer Singstimme. Ob nun im Orchester, in einer Band, im Chor: Musikalisch ist, wer Talent mitbringt und fleißig übt. Das Wort verwende ich gern auch in anderen Zusammenhängen - die Kombination von Talent und Übung bleibt aber die wesentliche Voraussetzung.

Ich kenne Menschen, die sind musikalisch im Blick auf ihre Lebensfreude. Und je öfter sie sich freuen, desto besser beherrschen sie sie auch: die Freude am Atmen, am Frühling, an Freundschaft und Liebe, an den Enkeln, an einer Wildbiene auf einer Blüte, an einem beherzten Sprung ins kalte Wasser. Im Krankenhaus erlebe ich Patientinnen und Patienten, die sind besonders musikalisch im Blick auf die Hoffnung, die sie zum Leben brauchen. Trotz Schmerz und Ungewissheit, trotz Einsamkeit und Verzagtheit ahnen, nein wissen sie: Es wird wieder gut mit mir. Am Ende sowieso. Staunend sitze ich dann dabei und lerne beim Nachfragen etwas vom Talent zum Hoffen und von der Übung, die es dennoch braucht.

Und es gibt Menschen, die nenne ich religiös musikalisch. Auch sie haben Zugang zur Lebensfreude, wissen etwas von Hoffnung. Religiös musikalisch sind für mich jene, die wissen, dass es kein Zufall ist, dass man auf der Welt ist, sondern Gottes großartige Idee. Die wissen, dass ER einen liebevollen Blick auf sie wirft, egal was ihnen gerade alles misslingt: „Du bist meine liebe Tochter/mein lieber Sohn, an der/dem ich Wohlgefallen habe“ klingt es aus dem Himmel für sie herab.

Religiös musikalisch bedeutet für mich auch: dankbar zu sein für das, was wir so selbstverständlich haben, obgleich nichts selbstverständlich ist. Auf diese besondere Art musikalisch zu sein, heißt, zu wissen, dass das Geschenk von Leben und Liebe nach einer Antwort sucht in der Verantwortung für den Nächsten, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Umwelt.

Religiöse Musikalität schenkt auch, darauf zu vertrauen, dass Gott wirklich Trost zu spenden weiß, wenn man den Eindruck hat, dass das Leben in Scherben liegt, man an Krieg, Ungerechtigkeit, Ignoranz und Herzlosigkeit zu verzweifeln droht. Religiös musikalisch zu sein, ist nicht nur dann eine feine Sache.

Talent braucht es dazu, mindestens so etwas wie Offenheit. Oder eine Oma, einen Mitschüler, eine Patentante, die dieses Talent zu wecken weiß. Und Übung, die sich aus Neugier speist und aus der Lust, dem Leben einen Sinn abzugewinnen. Übung, die sich im Gespräch mit Menschen ergibt, im Fragen, im Stillsein, im Anzünden einer Kerze in einer Kirche, die man im Urlaub aufsucht. Und im Gebet.

Matthias Zentner


Matthias Zentner

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