Quasimodogeniti

22. Apr 2022

„Wie die Neugeborenen sein“ – manchmal könnte es schön sein, noch einmal ganz von vorn anfangen zu können – oder?

Wenn irgendwo ein Kinderwagen steht oder jemand ein Baby auf dem Arm hat ist das für die meisten Menschen ein Hingucker und es kommen entzückte Kommentare: Wie niedlich – wie goldig – und alles so klein!

Der Sonntag Nach Ostern hat in den Kirchen einen schwer auszusprechenden Namen: Quasimodogeniti. Übersetzt: Wie die Neugeborenen sein.

Sicher gibt es Menschen, die sich das wünschen: Noch einmal geboren werden, ganz von vorn anfangen, ein neuer Mensch werden, aus der alten Haut herauskönnen, alles oder zumindest vieles, ganz anders, nämlich besser machen.
Heraus aus der alten Haut, heraus aus Krankheit und Alter und Resignation, weg von Verärgerungen, Enttäuschungen, Verletzungen und kränkender Hilflosigkeit.

Doch es gibt keinen Weg aus der alten Haut heraus, obwohl manches zum Aus – der – Haut - fahren ist, in der Gesellschaft, in der Kirche, im Alltag.

Unversehrt aus der Haut zu fahren gelingt nur Schlangen. Bei uns Menschen klappt das nicht und, mal ganz ehrlich: Was würde es denn bringen? Ist tatsächlich erstrebenswert, alles Vergangene abzustreifen und zu vergessen? (Ganz abgesehen davon, dass dies nicht gelingen kann.)

Oft sind es negative Erfahrungen, Enttäuschungen und Niederlagen, die mich stärker machen und erkennen lassen: Ich kann wieder aufstehen, wenn ich hingefallen bin. Wenn mir etwas misslungen ist, kann ich es neu versuchen. Wenn ich in einer Sackgasse gelandet bin, kann ich umkehren und einen gangbaren Weg suchen. Ein besonders schönes Erleben ist es, wenn mir dabei Menschen begegnen, die zu mir stehen, mich auffangen und begleiten. Plötzlich öffnen sich Türen, die ich gar nicht gesehen habe.

Neugeborene haben noch alles vor sich. Erwachsene haben vieles hinter sich, darunter Bewahrenswertes.

Den Sonntag Quasimodogeniti erlebe ich als ermutigend. Ich weiß, dass ich nicht ganz von vorn anfangen kann und das möchte ich auch gar nicht. Mit meinen Lebenserfahrungen – den guten und den schlechten – darf ich immer neu beginnen. Fehler muss ich nicht wiederholen, sondern kann lernen, sie zu vermeiden. Es hilft mir zu wissen: Täglich habe ich neue Chancen und Möglichkeiten zu leben.

Es gibt sie ja - die Momente, wo sich jemand wie neugeboren fühlt, wo Hoffnung spürbar wird und Gottes Gegenwart erlebbar ist.
Es ist ein Angebot. Schön wäre, das spürbar erfahren und weitervermitteln zu können.

Ursula Meckel