Neid

18. Feb 2022

Sind Sie auch schon mal, als Sie gemerkt haben, dass Sie sich verfahren haben, noch ein Stück in die falsche Richtung weitergefahren? Weil Sie gehofft haben, dass es doch noch richtig wird? Weil es dauert, sich einzugestehen, dass man falsch liegt? Oder um eine schöne Stelle zum Wenden zu finden?

Unser Gehirn kann vieles sehr gut. Manches aber nicht: zum Beispiel exponentielles Wachstum begreifen - also Finanzkrisen oder Pandemien verstehen - oder eben umsteuern.

Die Bibel erzählt: Ein Winzer stellt morgens Arbeiter für seinen Weinberg ein. Er einigt sich mit jedem auf einen Tageslohn von umgerechnet 70 €. Später fährt er noch viermal am Marktplatz vorbei und findet dort immer Leute ohne Arbeit. Auch die schickt er auf seinen Weinberg. Bei Sonnenuntergang wird abgerechnet. Die, die nur eine Stunde gearbeitet haben, bekommen 70 €. Die, die elf Stunden gearbeitet haben, denken, sie bekommen mehr. Aber – auch 70 €.


Hier geht es nicht um das Wirtschaftsmodell, das uns sofort einfällt. Es geht darum, dass wir unseren Wert nicht nur aus unserer Leistung haben – wir sind auch aus anderen Gründen liebens-wert. Und es geht um den Neid. Wenn ich mich in die hineinversetze, die elf Stunden gearbeitet haben, fange ich an mich aufzuregen. Genau das will die Geschichte. Gefühle dürfen nicht unterdrückt werden – sie müssen auf den Tisch. Erst wenn sie auf dem Tisch liegen, kann ich sie genauer ansehen: Was davon ist Gerechtigkeitsgefühl? Was Neid? Gerechtigkeitsgefühl ist gut. Neid sorgt dafür, dass wir uns verfahren. 

In der Steinzeit war Neid sinnvoll: Wir sind die Nachkommen von denen, die beim Fleischverteilen aufgepasst haben, nicht zu kurz zu kommen. Die Anderen sind verhungert. Heute in Europa bringt Neid keinen Gewinn, sondern hält davon ab, kräftig zu leben. Mit Zorn ist das ähnlich.


Die Fastenzeit, die in zwei Wochen beginnt, ist für mich eine Gelegenheit, manches auf den Tisch zu legen: Wo liege ich richtig und wo falsch? Habe ich mich irgendwo verfahren?

 
Ich wünsche Ihnen gute Fahrt.


Paul Beutel