Liebe führt keine Listen

15. Dez 2023

In der letzten Woche fiel bei mir der Groschen: Weihnachten steht ja wirklich vor der Tür. Seitdem entstehen sowohl in meinem Kalender als auch in meinem Kopf Listen:

Welche Geschenke muss ich noch besorgen? Wem schreibe ich in diesem Jahr eine Weihnachtskarte? Beim wem will ich mich unbedingt noch melden, auch wenn ich es in den letzten 11 Monaten nicht getan habe? Diese Listen werden immer länger, obwohl ich sie Punkt für Punkt abarbeite. Nichts und vor allem niemand soll vergessen werden. Mir kommt Loriots Familie Hoppenstedt in den Sinn: Noch 15 Tage… dann machen wir’s uns gemütlich!

Ich ahne: Eigentlich wäre es an der Zeit, diese Listen über Bord zu werfen. Mit ihrer Hilfe verschaffe ich mir zwar einen gewissen Überblick, aber am Ende werde ich doch der einen oder dem anderen etwas schuldig bleiben. Manche werden vergeblich darauf warten, dass ich anrufe, einen Weihnachtsgruß oder gar ein Geschenk schicke. Und vermutlich werde auch ich am Ende der Adventszeit, wenn ich es mir gemütlich mache, feststellen, dass ich von der ein oder anderen Person nichts gehört habe. Menschen bleiben einander immer etwas schuldig. Im Advent – dieser besonderen Zeit, in der viele von uns achtsamer für Gefühle und Stimmungen sind – steht das deutlicher als sonst vor Augen. Besser wird es dadurch nicht.

Wäre es da nicht an der Zeit, die Listen über Bord zu werfen? Vielleicht ist es im Advent einen Versuch wert. Denn die Liebe rechnet nicht, sie führt auch keine Listen. Was ich im Laufe des Jahres bereits ahne, wird mir im Advent nochmals bewusster. Mehr noch: Ich trage eine große Sehnsucht in mir nach dem anderen Leben, das von Liebe geprägt ist. Nach einem Leben, in dem ich nicht akribisch notiere, wer mir etwas schuldig geblieben ist, und ich nicht resigniert feststelle, wem ich etwas schuldig geblieben bin. Wie die Passionszeit ist auch der Advent eine besondere Zeit, in der die ausgetrampelten Pfade probeweise verlassen werden können. Zu welchen neuen Zielen man da wohl kommt? Der Apostel Paulus schreibt dazu: „Bleibt niemandem etwas schuldig, außer einander zu lieben! Wer liebt, tut seinem Mitmenschen nichts Böses an.“

Saskia Lieske