Was bist du so bedrückt?

29. Mär 2021

Warum sollte ich nicht bedrückt sein? Gründe gibt es genug, da muss ich nicht lange suchen. Trotzdem: Noch lauter als die Gegenfrage ist das „Dennoch“ der Beterin.

„Was bist du so bedrückt, meine Seele, und was ächzt du in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, der Rettung meines Angesichts und meinem Gott.“ (Psalm 43,5)

Gegenfrage: Warum sollte ich nicht bedrückt sein? Ich gehe durch die Klinik in Halberstadt – und sehe die müden Gesichter der Pfleger und Ärztinnen; sehe die Patientinnen, die sich nach einem vertrauten Gesicht sehnen; sehe die traurigen Augen des Ehemanns, der seine Frau nicht sehen darf und an der Rezeption wieder kehrt machen muss.

Warum sollte ich nicht bedrückt sein? Ich gehe durch die Orte – und denke an die Großeltern, die so gerne ihre Enkel wiedersehen würden, denke an die Jugendlichen, für die Schulschließungen ein Segen waren: Endlich mal Ruhe vor dem Mobbing; denke an die Café-Besitzerin, deren finanzielle Rücklagen eigentlich nur bis Jahresanfang reichten geschweige denn ihre emotionalen Rücklagen.

Warum sollte ich nicht bedrückt sein? Gründe gibt es genug, da muss ich nicht lange suchen. Trotzdem: Noch lauter als die Gegenfrage ist das „Dennoch“ der Beterin. Es lässt mich nicht los: Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, der Rettung meines Angesichts und meinem Gott. In meinen Ohren klingen diese Worte eindringlich. Sie erinnern mich, meinen Blick zu weiten und auf Gott zu richten. Ihn mit ins Boot meiner Bedrückung zu holen und sehnsüchtig auf ihn zu hoffen.

Dieser Psalmvers begleitete mich durch die vergangenen Tage mit ihren Hochs und Tiefs, mit ihrem Pandemie-Frust und ihren Frühlingsboten, mit ihren Begegnungen am Krankenbett und in Videokonferenzen. Und je öfter er mir durch den Kopf geht, desto mehr spüre ich im Herz: Meine Seele harrt darauf, Gottes Wirken zu sehen; aber Gott ist schon längst da.

Dr. Saskia Lieske