Reformationsfest

29. Okt 2021

Geglaubtes wird Gelebtes Was das Fest heute sein kann: Ein Stück Freude, ein Stück Demut, ein gewaltiges Stück Bereitschaft, den christlichen Glauben in den Alltag zu tragen und aus Geglaubtem Gelebtes zu machen.

Ja, man wundert sich: In evangelischen Gottesdienstbüchern bekommt der 31. Oktober immer noch den Namen „Reformationsfest“. Vielleicht eine Erinnerung an Zeiten, wo man solche Gedenktage als Fest ausgestaltet hat mit Fahnen, Farben und Fanfaren. Wir spüren davon heute durchaus noch etwas, wenn Gottesdienste an diesem Feiertag in besonderer Weise gestaltet werden und tatsächlich der Hauch der Jahrhunderte durch die Kirche weht – so, als hätte man die Tür zum Sagaland geöffnet, wo die Welt in anderen Farben leuchtet und die Worte einen anderen Klang haben.

Reformationstag ist heute ein Gedenktag und ein Nachdenktag. Gedacht wird der kirchlichen und gesellschaftlichen Aufbrüche im Deutschland des 15. Jh., vielleicht einer der ersten großen Epochen europäischer Geschichte, die bis in das Aufbewahren von Notizzetteln und Flugblättern exzellent dokumentiert ist und dadurch nicht nur den Atem der Geschichte spürbar macht sondern auch die Widersprüchlichkeit einer Epoche, die Hardliner, Fundamentalisten, Realos, Diplomaten und Karrieristen nebeneinander groß werden ließ, bis alles im Augsburger Religionsfrieden von 1555 seinen Kompromiss und Frieden fand.

Aber das alleine genügt nicht. Hinzu kommt das heute weniger beachtete Erinnern an Persönlichkeiten, oder sagen wir es gleich frei heraus: an D. Martin Luther, den Reformator, der doch eigentlich wie viele andere seiner Zeit Priester, Professor, Autor, Publizist und Familienvater gewesen ist und außerdem Kind seiner Zeit und Sohn seiner Heimat (die er aus Sicherheitsgründen nach 1522 nicht mehr verlassen konnte). Das Gedenken an einen Menschen hat immer etwas Faszinierendes: Solch ein Prominenter, solch eine Persönlichkeit mit allen Sternen und Brüchen ist immer eine geeignete Projektionsfläche, an der sich zeigen lässt, was ein wacher Geist alles zu bewegen vermag, wenn er außerdem die richtigen Freundinnen und Freunde hat. Und zugleich ist Acht zu geben, dass die vielen Stimmen einer Zeit nicht einfach unter die eine, große Stimme geschoben werden, so als habe einer, der es zu Bekanntheit gebracht hat, mehr ausgerichtet, als eine, die ebenfalls ihre Zeit gestaltet und vorangebracht hat, nur eben nicht in die Geschichtsbücher aufgenommen wurde – warum auch immer.

Und dann kommt noch ein Weiteres hinzu: Das, was da schön historisch „Reformation“ genannt wird, ist ein Phänomen, um das sich nicht erst die Reformatorinnen und Reformatoren bemüht haben oder das sein Ende im besagten Religionsfrieden oder im Westfälischen Frieden von 1648 gefunden hätte. Die Reformation war schon für die Reformatoren der Faden, den sie aus den vorangegangenen Zeiten aufgegriffen haben, in dem Wissen, dass eine Kirche, die sich nicht reformieren lässt, keine Zukunft mehr hat. Als Bezugspunkt hat man damals die Heilige Schrift genommen und ein bisschen dabei übersehen, dass die Heilige Schrift mit ihrer Geschichte selbst das Ergebnis vieler Reformationen ist und eigentlich nicht als unspaltbarer Kern der Geschichte gelten kann – aber immerhin: Die strenge Nötigung, von der Heiligen Schrift nicht wieder abzuweichen, ist man erst einmal bei ihr angekommen, hat der Reformation des 16. Jh. ihre Kraft und ihre Berechtigung gegeben.

Was das Fest heute sein kann: Ein Stück Freude, ein Stück Demut, ein gewaltiges Stück Bereitschaft, den christlichen Glauben in den Alltag zu tragen und aus Geglaubtem Gelebtes zu machen.

Christoph Carstens