Hoffnung auf hohem Niveau

26. Feb 2021

Um sich selbst kreisen, ist Gottes Sache nicht. Aber Situationen drehen, schon.

„Ich hoffe, du überstehst das, ohne dass dir die Decke auf den Kopf fällt?“ Die WhatsApp-Nachricht meiner Bekannten ist lieb gemeint. Weil ich ein längeres Gespräch mit einem infizierten Kollegen hatte (was uns beiden erst später bekannt wurde), bin ich behördlich verordnet in Quarantäne.
Von vielen Seiten bekomme ich Mitleidsbekundungen. Volle 14 Tage muss ich zu Hause bleiben und bin auf die Quadratmeter meiner Wohnung beschränkt. Da ich allein lebe, fehlt mir der enge Kontakt zu jenen, die ich liebhabe. Das ist eine Herausforderung. Trotzdem käme es mir nicht in den Sinn zu klagen. Es wäre Gejammer auf hohem Niveau.

Gejammer auf hohem Niveau ist derzeit angesagt. Talkshows und Kommentarspalten machen uns weis, wir Deutschen hätten die Beschränkungen satt. Corona-Müdigkeit wird das genannt. Es stimmt, auch ich sehne mich danach, dass alles ein Ende hat. Mal wieder ins Kino gehen können. Endlich meine alte Mutter besuchen. Nach Ostern ein paar Tage an die Ostsee fahren. Aber da es offenbar weiterhin gefährlich für uns alle ist, wenn wir uns frei bewegen, lasse ich mich geduldig auf die Einschränkungen ein.

Klagen ist übrigens nicht verboten. In meiner Bibel finde ich eine ganze Reihe von Schmerzensgebeten. Höflich geht es da nicht zu. In Psalm 13 heißt es: „Herr, wie lange willst du mich noch vergessen!?“ Ein Schrei um Hilfe, voll Enttäuschung und Anklage. Und Gott hört sich das alles an.

Zwischen Klage und Gejammer besteht ein entscheidender Unterschied. Jammern ist ziellos. Wer jammert kreist um sich selbst. Eine Klage jedoch hat ein Gegenüber. Und in der Klage ist bereits ein Keim enthalten, ein klitzekleines Stück Hoffnung. Klage ich, dann ist in mir die Zuversicht, dass sich meine Situation dreht, weil mir geholfen wird.

Insofern: Klagen Sie ruhig, wenn Ihnen danach ist. Das ist okay. Gott hält das aus. Was er unter Garantie nicht mag, ist Gejammer. Denn um sich selbst kreisen, ist Gottes Sache nicht. Aber Situationen drehen, schon.

Unterdessen bin ich negativ getestet – ich freue mich. Mein Kühlschrank ist voll, die Sonne scheint zum Fenster herein, das Telefon klingelt oft. Nach wie vor also kein Grund zum Klagen. Darüber vergesse ich nicht, dass es in anderen Häusern anders aussieht. Das berührt mich. Auch deshalb nehme ich die Auflagen klaglos hin.
Meiner Bekannten schreibe ich: „Die Decke bei mir bleibt stabil. Ich bin doch ein Mann der Hoffnung.“ Dazu ein zwinkernder Smiley.

Ihr Jürgen Schilling