Himmlische Besuchszeiten

24. Sep 2021

Wie wäre das, wenn es im Himmel Besuchszeiten gäbe? Einfach mal kurz Hallo sagen, miteinander reden, sich den Armen liegen, vielleicht auch letzte Worte nachholen, die nicht gesagt werden konnten …

Ich war schon dabei, den Schlüssel zu ziehen und aus dem Auto auszusteigen. Aber plötzlich blieb ich wie gebannt sitzen. Im Radio lief die Premiere von Ed Sheerans neuem Lied „Visiting hours“: Ich wünschte, dass der Himmel Besuchszeiten hätte, sodass ich einfach mal vorbeischauen könnte. So singt es der Brite gleich am Anfang und fährt dann fort, dass er um Rat fragen sowie von seinen Ängsten und den Kindern erzählen würde.

Ich höre gespannt zu und gleichzeitig tragen mich meine Gedanken fort. Hin zu den vielen Menschen, die in den letzten anderthalb Jahren Abschied nehmen mussten, ohne ihre Oma, den Vater oder die lebenslange Freundin nochmal gesehen zu haben. Hin zu den Kindern, die sich auch als Erwachsene manches mal den Rat und die Nähe ihrer verstorbenen Eltern wünschen. Hin zu den Eltern, die ein Kind verloren haben und gerne sicher gehen wollen, dass es ihm dort, wo es jetzt ist, gut geht. Und auch hin zu den Menschen, die ich in meinem Leben vermisse.

Wie verlockend ist da der Gedanke himmlischer Besuchszeiten. Einfach mal kurz Hallo sagen, miteinander reden, sich den Armen liegen, vielleicht auch letzte Worte nachholen, die nicht gesagt werden konnten, und damit die Sehnsucht stillen. Oder wird sie dadurch noch verstärkt? Im Lied fährt Ed Sheeran jedenfalls fort, dass er die verstorbene Person gerne zurück ins Leben mitnehmen würde. Aber er ahnt die Antwort: Es geht nicht. Was ihm bleibt, ist das Vorhaben, manches von dem umzusetzen, was die Verstorbenen einem fürs Leben gelehrt und beigebracht haben. So kann die Erinnerung wachgehalten und die Verbindung beibehalten werden.

Nach einigen Minuten, die sich wie eine lange Zeit anfühlten, endete das Lied im Radio. Meine Gedanken kamen allmählich wieder im Hier und Jetzt an. Durch die Erinnerung an die Abschiede spürte ich Schwere und Wehmut; aber auch Dankbarkeit für gemeinsame Zeit und Prägungen. Ich höre seitdem immer mal wieder dieses Lied, schwelge in Erinnerungen und freue mich auf ein Wiedersehen. Denn schließlich sind von Gott nicht nur begrenzte Besuchszeiten im Himmel in Aussicht gestellt, sondern ein gemeinsames Leben in der Ewigkeit.

Saskia Lieske