Gelähmt vor Angst?

09. Okt 2021

Sind Sie schon mal jemandem aufs Dach gestiegen? Ich meine nicht im wörtlichen Sinne, sondern symbolisch: Lästig fallen, Druck ausüben, nicht lockerlassen.

„Aufs Dach steigen“ ist ein umgangssprachlicher Begriff, der aus der Bibel stammen könnte. Da wird von einem Gelähmten erzählt, den seine Freunde zu Jesus bringen wollen, damit er geheilt wird. Doch sie kommen mit ihrer Trage nicht durch die Menschenmassen, deshalb steigen sie aufs Dach und lassen ihn von dort hinunter. Krass! Wie groß muss die Verzweiflung gewesen sein, dass sie nicht aufgeben, nicht umkehren, sondern alle Fantasie und Kraft aufbringen, um an das ersehnte Ziel zu kommen?
Und als sie da sind und Jesus sich auch stören lässt, folgt eine blanke Enttäuschung: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Was soll das denn? Danach hat niemand gefragt! Hauptsache gesund – das hören wir noch heute immer wieder und aus innerster Überzeugung.
Denken wir nicht auch: Mit Sünden lässt es sich viel besser leben als mit Krankheiten?
Abgesehen davon ist „Sünde“ ein zutiefst altmodisches Wort! Was ist das überhaupt?
In einem Lied heißt es: „Wir sind doch alle kleine Sünderlein ...“ Also alles nicht so schlimm?
Andererseits ist bekannt: Schuld kann krank machen, sogar lähmen.
Die Menschen damals waren sicher enttäuscht und dachten: Die vergebenen Sünden kann man nicht sehen, besser wäre eine „richtige“ Heilung. Dabei wissen wir: Ein Beinbruch heilt leichter als ein seelischer Bruch, und vor allem schneller.
Wie viel Lahmheit gibt es unter uns und um uns herum? Tun wir etwas dagegen?
Wem steigen wir aufs Dach, wenn wir anders nicht weiterkommen?
In der biblischen Erzählung (Markusevangelium Kapitel 2, Verse 1 bis 12) geht der Kranke am Ende gesund weg. Gesund im Inneren und im Äußeren. Dank der Hilfe von Jesus und dank der Hilfe seiner Freunde.
Ich glaube, dass Jesus damals wie heute, Lahme heilen kann, Bewegungsunfähige in Bewegung versetzen, Hilflose zu Helfern machen.
Er lässt sich heute wie damals von uns aufs Dach steigen. Dazu braucht es nichts weiter als Vertrauen und etwas Fantasie.

Ursula Meckel