Ich singe. Das tut mir gut.

02. Mai 2020

Du lässt mich erfahren viele und große Angst und tröstest mich wieder. Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sollen fröhlich sein und dir lobsingen.

Ich singe

Ich singe. Das tut mir gut.
Ich singe. Das ist wie über die Schwelle zu treten. Denn da ist eine Hemmung, die macht einen bewussten Schritt erforderlich. Das kennen Sie, nicht wahr? Die Schwelle wird manchmal räuspernd genommen. Das Geräusch allgemeinen Räusperns kommt ja erwartungsgemäß in jeder Runde, die zu singen beginnt.
Doch ich kann leise beginnen. Summend. Dabei merke ich den Klang sozusagen intern. Spüre den eigenen Resonanz-Körper. Manchmal beginne ich zu singen, wenn Glocken läuten. Dann lasse ich mich von den schwingenden Tönen mitnehmen. Und bin mittendrin, bin auf der Erde und dem Himmel verbunden.
Ich merke, wie ich mich beim Singen verändere, merke Stärke von innen. Ich singe und Gedanken fügen sich. Mein Glaube drückt sich aus. Ich schlage ein Lied auf, folge den Worten und Tönen. Damit komme ich ins Zwiegespräch mit denen, die das Lied gemacht und mit denen, die es inter¬pretiert haben. Es geht um Angst zu verlieren, um Gewinnen und Freude, um Verlorenheit und Rettung. Ich bin mit Gott in Verbindung; Gott zeigt sich mir zwischen Widersprüchlichem. Und meine Meinung formt sich.
Seit März, seitdem Kontaktbeschränkungen angeordnet sind, wird morgens die Glocke im Mutterhaus geläutet und gebetet. Fast immer. Dieses Zeichen wird bemerkt. Und das Fehlen des Geläutes, wie am Karfreitag, vermisst. Für mich gibt die Glocke den Impuls zu singen, zu beten und an Sie - regional und weltweit - zu denken. Es tut mir gerade an den Tagen gut, an denen mich die Angst wegen der Pandemie beschleicht. Nah sind mir Worte aus dem 71. Psalm, einem Lied der Bibel:
Du lässt mich erfahren viele und große Angst und tröstest mich wieder. Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sollen fröhlich sein und dir lobsingen.

Ich singe und das ist ein immaterielles Gut. Singen ist nicht mit Geld zu bezahlen. Und es kostet nichts. Außer Überwindung.
Gesegneten Sonntag
Hannah Becker