Grabesstille Woche

18. Apr 2020

Ostern werden Gott sei Dank Grenzen überschritten. Die Grenzen des Todes. Die Grenzen der Mutlosigkeit. Die Grenzen des Begreifens. Vielleicht ist es das, was uns allen in diesem Jahr mehr als sonst aufgehen sollte.

Diesmal ist es für mich schwieriger als sonst, „Gedanken zum Tag“ zu formulieren. Es gibt einen Redaktionsschluss, der vor dem Erscheinungstermin liegt. Dabei überschlagen sich Tag für Tag die Meldungen. Was heute noch gilt, kann morgen schon ganz anders sein.

Alle von uns haben ein Osterfest hinter sich, das sie nicht vergessen werden, weil es so anders war als alle Osterfeste, die wir vorher erlebt hatten. Schon die Woche davor, die Karwoche oder „Stille Woche“, machte diesmal ihrem Namen alle Ehre. Still. Grabesstill zuweilen, auf den Straßen, wenn wir einander in gebührendem Abstand begegneten. Keine Verwandtenbesuche, keine Treffen mit Freunden, nur begrenzt konnten sich Eltern und Kinder sehen, Großeltern ihre Enkel kaum. Man schlich aneinander vorbei, viele schauten einander kaum an. Alte Menschen waren einsamer als sonst. Viele konnten keinen Besuch bekommen. Beklemmend.

Ostern werden Gott sei Dank Grenzen überschritten. Die Grenzen des Todes. Die Grenzen der Mutlosigkeit. Die Grenzen des Begreifens. Vielleicht ist es das, was uns allen in diesem Jahr mehr als sonst aufgehen sollte. Das Fest vom Osterhasen und der gefärbten Eier, es hatte eine Tiefe, die wir möglicherweise lange nicht erlebt haben. Viele hatten - mehr als unfreiwillig - die Möglichkeit, „in sich zu gehen“. Ja, man war über weite Strecken auf sich selbst zurückgeworfen, musste sehen, was man mit seiner Zeit anfängt oder was man trotz der Anspannungen, die jeden von uns betreffen, schafft: im Alltag, in der Familie, im Homeoffice, in Kurzarbeit oder in den verlängerten Osterferien.
Ich denke, da haben alle Unglaubliches geleistet. Wir sind es oft nicht gewohnt, auf engem Raum länger zusammen zu sein. Aber wir sind Wesen, die Gemeinschaft brauchen, auch wenn uns die anderen manchmal auf die Nerven gehen. Wir wurden versorgt mit dem Nötigsten, in Geschäften, in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen, von häuslichen Pflegediensten und manche für die Schule sogar von Lehrerinnen und Lehrern.

Der morgige Sonntag ist ein traditioneller Termin in meiner Kirche für die Erstkommunion. Es war auch an einem „Weißen Sonntag“ für mich so, vor 45 Jahren. In der evangelischen Kirche werden - auch oft traditionell - die Konfirmanden vorgestellt. Beide Feiern finden vorläufig nicht statt. Unsere Kirchen bleiben vorerst geschlossen für die Feier von Gottesdiensten. Wir dürfen zuversichtlich sein, dass sich das alles bald wieder ändert.

Ich fand einen Text passend, daher möchte ich ihn hier gerne vorstellen. Joop Roeland hat ihn verfasst, erschienen in seinem Buch „Die Stimme eines dünnen Schweigens“ (Verlag Die Quelle, Feldkirch 1992)
„Der Briefträger bringt, fröhlich pfeifend, die Post: Lauter sonnige Nachrichten heute! In der Straßenbahn sind die Leute freundlich, ein Kind hat leise gesungen, niemand ist böse. Einer Mutter mit Kinderwagen hat man sogar geholfen. Heute, ein Sommertag, der kleine Baum am Platz, im Herbst mutwillig zerstört, versucht tapfer wieder zu grünen. In seiner kleinen Sprache spricht er beharrlich zu uns: Der Sommer ist stärker. Oder auch: Ihr habt Ostern nicht umsonst gefeiert.“

Thomas Dammann, Gemeindereferent der katholischen Pfarrei St. Mathilde Quedlinburg