Entschleunigung

04. Apr 2020

Freundschaft und Nähe bleiben auch in körperlicher Distanz spürbar. Abstand halten und dennoch in Kontakt bleiben ist angesagt.

Wenn ich von großen begeisterten Menschenmassen höre oder lese, bekomme ich ziemlich zwiespältige Gefühle. Einerseits erinnere ich mich dabei an gute eigene Erfahrungen, zum Beispiel an das erfreuliche Gemeinschaftsgefühl bei großen Konzerten oder Kirchentagen. Andererseits können Ansammlungen begeisterter Fans mir Angst machen: Ich bin einmal in eine Fußballanhängerschar hineingeraten und da fühlte ich mich überhaupt nicht wohl sondern eher bedroht.
Ich weiß, wie schnell Begeisterung ins Gegenteil umschlagen kann. Wer heute noch als Politiker oder Sportler oder Künstler hochgelobt wurde, kann schon morgen in ein tiefes Loch fallen; Enthusiasmus hat ein kurzes Verfallsdatum.
Davon berichtet die biblische Geschichte, die dem Sonntag Palmarum ihren Namen gegeben hat. Jesus zieht in Jerusalem ein. Die Menschen dort empfangen ihn mit Glanz und Gloria. Sie schmücken seinen Weg. Immer wieder ertönen Hochrufe! Allerdings nicht lange.
Zur Zeit besteht ja keine Gefahr – und auch keine Chance – in eine Massenveranstaltungen zu geraten. Abstand halten ist angesagt und macht vielen Menschen das Leben schwer. Das sind wir nicht gewohnt: Keine Feiern, keine Umarmungen, kein Händeschütteln – nicht einmal Trauerfeiern sind in gewohnter Weise möglich.
Aber: Freundschaft und Nähe bleiben auch in körperlicher Distanz spürbar. Abstand halten und dennoch in Kontakt bleiben ist angesagt, vielfältige technische Möglichkeiten helfen dabei.
Vielleicht bin ich ja eine unverbesserliche Optimistin – und wenn, hat das mit meinem Glauben zu tun. Ich glaube: Gott kann auch dort wirken und Veränderungen bewirken, wo Menschen keine Wege und Auswege mehr sehen. Trotz aller Sorgen über die Zukunft gibt es Hoffnung. Wahrscheinlich wird nach Corona vieles anders sein, als es bisher war und das muss ja nicht schlecht sein.
Die Krise als Chance, Entschleunigung als Entlastung für Menschen und Schöpfung.
Ich habe Zeit zum Nachdenken: Was brauche ich wirklich? Jedenfalls ganz bestimmt keinen Klo-Papier-Vorrat für die nächsten Jahre.
Ursula Meckel