"Trockenübungen"

06. Mär 2017

Matthias Zentner

Lokales / GEDANKEN ZUR ZEIT / MATTHIAS ZENTNER Pfarrer und Krankenhausseelsorger am Harzklinikum vom 4. März 2017
"Trockenübungen"
Auch wenn es in unserer Gegend genügend Faschingsmuffel wie mich gibt, der fünften Jahreszeit konnte man sich erneut kaum entziehen: farbenfrohe Umzüge auch hierzulande und nicht nur in Köln und Düsseldorf. Prunksitzungen auf scheinbar allen Fernsehkanälen. Üben können, wie es wäre, wenn man ein anderer wäre. Oder etwas von sich zeigen, was auch in einem schlummert: dass man ein bisschen jeck sein kann! Und dann: Aschermittwoch. Alles vorbei. Zumindest das Feiern, Verkleiden, Anderssein.
Früher war dies auch als Atemholen und Krafttanken für die Fastenzeit im Blick, die mit Aschermittwoch beginnt und zu Ostern endet. Sieben Wochen Verzicht, um sich zu öffnen für das, was die Passion Jesu und sein Sterben am Kreuz für uns bedeuten. Heute sind es vielfach sieben Wochen ohne Wohlstand, ohne Fleisch, Zigaretten, Facebook, Gummibärchen. Oder sieben Woche ohne Auto: eine tolle Idee, zumindest wenn man als Pendler nicht auf den Wagen angewiesen ist oder der Einkauf mit den alten Eltern eben vier Räder braucht. Die Fastenaktion der Evangelischen Kirche hat wie in jedem Jahr ein Motto. 2017 heißt es "Sieben Wochen ohne sofort"; Menschen werden eingeladen, achtsamer mit sich und der allgegenwärtigen Hektik umzugehen. Ebenfalls eine gute Idee, notwendig (also manche Not wendend) ohnehin.
Aber je länger ich über all diese nachdenke, desto mehr macht sich ein beunruhigender Gedanke in mir breit: wenn wir die tollen Tage brauchen, um ausgelassen fröhlich zu sein und die Fastenzeit, um uns verantwortlich und aufmerksam zu zeigen, dann muss in den restlichen Wochen des Jahres doch etwas falsch laufen? Was meinen Sie? Nun: Ich will beides, das Feiern und das Fasten, gern als Übung verstehen, was alles in uns steckt, womit Gott uns beschenkt hat. Mit Lebensfreude, die aber nicht an einer Pappnase hängt. Mit einer Verantwortung für die Mitmenschen, die Umwelt und sich selbst, die das nicht nur sieben Wochen gebrauchen können. Aus diesen "Trockenübungen" könnte eine Haltung werden, die das Wichtige im Leben im Blick hat und die dennoch nicht bierernst und verkniffen daher käme. Gott hätte seine Freude daran und unsere Mitmenschen auch. Ich bin mir sicher!