Wo kämen wir hin?

03. Jan 2017

Matthias Zentner

Kurz vor Weihnachten begegnete mir ein alter Freund, auf dessen Worte ich immer viel ge-geben habe. Wir kennen uns seit dem Studium, haben manche Stunde miteinander ver-bracht. Wenn er etwas sagte, habe ich nicht nur das Ausgesprochene verstanden, sondern gleich noch viel mehr - es gibt solche Menschen.
Kurz vor Weihnachten also sind wir uns wiederbegegnet, und es war wie immer: was er sag-te, hatte Hand und Fuß: „Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.“ Ich habe darüber nachgedacht.
Heilig Abend sind mir die Hirten aus der Weihnachtsgeschichte eingefallen, die alles stehen und liegen ließen, um zu sehen, was sich dort in einem Stall in Bethlehem zugetragen hat. Mutige Männer!
Ich habe mich gefragt, wen ich heute mutig finde und musste an die Weißhelme denken, Männer und Frauen, die sich in zerbombte syrische Häuser wagen, um Verschütteten das Leben zu retten. Ich habe gemerkt, wie froh ich bin, dass dies nicht mein Alltag ist – und trotzdem hat mich die Frage nicht losgelassen, wofür ich heute Mut bräuchte.
Auch wenn die Versuchung da ist: es braucht wohl Mut, unsere Welt für so kompliziert zu halten, wie sie nun mal geworden ist, anstatt den allzu simplen Erklärungsversuchen der Populisten aufzusitzen. Es braucht Mut, angesichts des Terroranschlags in Berlin weiter mu-tig und liebevoll zu sein, anstatt sich zu Angst und Hass verleiten zu lassen. Es braucht den Mut, tapfer sein Tagwerk zu verrichten und nicht daran zu verzweifeln, dass das zu wenig sein könnte in dieser friedlosen Welt. Und es braucht den Mut, sich in ein neues Jahr aufzu-machen.
Das oben genannte Zitat stammt übrigens von Kurt Marti, einem Schweizer Pfarrer und Schriftsteller. Persönlich bin ich ihm leider nie begegnet, aber in seinen Büchern ist er mir zum Freund geworden. Ich gebe Ihnen die schöne Frage mit ins Jahr 2017:
„Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.“


Matthias Zentner