Morgenmuffel

04. Jul 2015

Ursula Meckel

Es gibt Menschen, die wachen morgens in aller Herrgottsfrühe auf, haben schon ein Lachen in den Augen und ein Lied auf den Lippen und lassen fröhlich ihre muntere Stimme durchs Haus oder durch die Wohnung schallen. Ich weiß nicht so recht, ob ich sie beneiden oder bewundern soll oder mich auch über sie ärgern darf, denn ich  muss zugeben, eher zu den Morgenmuffeln zu gehören. Und das schon immer und auch noch als Bürgerin im „Land der Frühaufsteher“.

Voller geheimer Freude las ich in der Bibel in den Sprüchen Salomos: „Wenn einer seinen Nächsten des Morgens früh mit lauter Stimme segnet, so wird ihm das wie ein Fluch gerechnet.“

Endlich einer, der mich und meine Leidensgenossen versteht! Sonst wollen mir alle möglichen Sprichwörter ja weismachen, dass die Morgenstunde Gold im Munde hat, der frühe Vogel den Wurm fängt und dass Frühaufsteher glücklich, reich und schön werden, wenn sie es nicht bereits sind. Da hätte ich also ganz schlechte Karten. Aber der weise König aus dem Alten Testament macht Mut.

Und: Das Positive an den Morgenmuffeln ist ja, dass sie nicht verdrießlich bleiben, sondern einfach mehr Zeit brauchen, um hellwach zu werden. Die Seele muss nachkommen, will sich erst mal recken und strecken und nach einem stärkenden Frühstück zum Tageswerk schreiten. Nach solcher  Morgengymnastik und dem eher langsamen Begrüßen des neuen Morgens geht alles viel leichter und flotter; der Tag kann beginnen und gut werden. Die beiden Kater, die so freundlich sind, ihr Leben und meine Wohnung mit mir zu teilen, führen mir das auf überzeugende und einladende Weise vor.

Schlimmer sind meinen Erfahrungen nach diejenigen, die ganztägig miese Laune verbreiten und denen es überhaupt nie jemand recht machen kann. Da hilft nur, ihnen weiträumig aus dem Wege zu gehen oder sich zumindest nicht anstecken zu lassen von ihrem trüben Weltbild.

Jede und jeder sollte die Chance haben, den Tag auf die ganz eigene Weise zu beginnen – und mit etwas Rücksicht aufeinander kann das auch gelingen. Ich könnte ja mal versuchen, mich in die Lage der anderen zu versetzen, in ihre Situation hineinzudenken – sie können ja genauso wenig für ihre Veranlagung wie ich für meine. Es gibt sie nun mal, die (Nacht-)Eulen und die (Morgen-)Lerchen.

Im Psalm 127 heißt es: „Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen, denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.“

In dieser Gewissheit lässt es sich gut aufstehen – neugierig auf das, was ich erleben werde, wer mir begegnet, was mir gut tut, was mich eventuell ärgert oder mich vielleicht weiter bringt - langsam oder mit einem Sprung aus dem Bett.

 

 

Ursula Meckel