Absurdistan

19. Aug 2017

Matthias Zentner

Beitrag für die MZ / Lokalausgabe Quedlinburg / 19. August 2017

Fibronil und Diesel-Gate. Was für absurde Worte begegnen uns in den letzten Wochen und Monaten wieder und wieder, und was für schändliche Absichten stehen hinter diesen Begriffen: Gewinnmaximierung um jeden Preis! Auf diese kapitalistische Ursünde werden wir immer wieder mit Gewalt hingewiesen, lange genug ohne wirklich zu spüren, was das bedeutet. Irgendwie merk ich's in diesem Jahr aber doch: mehr und mehr, bis zum Überdruss! Mir ist die seit meinen Kindertagen lebendige Lust vergangen, schöne Autos schön zu finden. Dass wir der Umwelt mit diesen ach so hilfreichen Maschinen keinen Gefallen tun, war ja klar. Aber welche Ausmaße Täuschung, Lug und Betrug angenommen haben, macht mich nicht nur traurig sondern wütend. Auch über mich selbst, weil ich's wider besseren Wissens hingenommen habe.

Und beim Essen bleibt mir mancher Bissen fast im Halse stecken: Was kann ich eigentlich noch mit Lust und guten Gewissens essen? Der derzeit grassierende Avocado-Boom macht dem Regenwald den Garaus: unwiederbringlich. Nahrungsmittel werden mit Rücksicht auf unsere Portemonnaies in einer Weise "hergestellt", die weder für uns als Verbraucher noch für Tier und Pflanze gut sind.

Ich habe den Zustand erreicht, dass ich auch ein drittes Ritual nicht mehr leiden kann: Nachrichten mag ich nicht mehr schauen und zusehen müssen, wie die Verrückten dieser Welt immer mehr Macht an sich reißen. Am liebsten würd ich nix sehen, nix hören, nix sagen. Bezogen auf meine obigen Beispiele: nix fahren, nix essen, nix wahrnehmen. Aber wie heißt es in einem schönen Stück Weisheitsliteratur aus meiner Bibel? "Alles hat seine Zeit."

Ich will es heute mal so lesen: Überdruss hat seine Zeit und Ermutigung hat ihre Zeit. Hoffnungslosigkeit hat ihre Zeit und Vertrauen auch.

Vertrauen, dass aus einer Krise etwas Gutes werden darf: bewussteres Einkaufen und Essen sind ja möglich, heutzutage sogar bei schmalerem Geldbeutel. Ich will darauf vertrauen, dass aus der Diesel-Krise ein Wachrütteln wird. Dass wir intensiv darüber nachdenken, wie wir in Zukunft so mobil sein können, dass Gesundheit und Umwelt geschont werden: das wage ich zu hoffen! Auch wenn mir derzeit die Abwrackprämien der Automobilhersteller die Zornesröte ins Gesicht treiben, will ich auf gute Lösungen hoffen. Ob Elektromobilität die Zukunft ist, möchten wir bitte alle gründlich anschauen: Verbraucher wie Hersteller. Aber mir bleibt wichtig: "Alles hat seine Zeit!" Suchen hat seine Zeit und Finden auch!

Matthias Zentner, Pfarrer und Krankenhausseelsorger